Notfallmanagement in den Alpen: Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Erstversorgung

Notfallmanagement in den Alpen: Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Erstversorgung

1. Vorbereitung und Risikobewusstsein

Wichtige Überlegungen vor dem Aufstieg

Bevor man sich in die Alpen aufmacht, ist eine sorgfältige Vorbereitung das A und O. Die Berge sind faszinierend, aber auch unberechenbar. Wer gut vorbereitet startet, legt den Grundstein für ein sicheres Bergerlebnis. Hier findest du die wichtigsten Punkte, die du vor jedem Aufstieg bedenken solltest.

Ausrüstungscheck: Was muss mit?

Ausrüstung Warum wichtig?
Erste-Hilfe-Set Schnelle Versorgung bei kleinen und größeren Verletzungen
Karte & Kompass / GPS Zur Orientierung abseits markierter Wege
Wetterfeste Kleidung Schutz vor plötzlichen Wetterumschwüngen
Taschenlampe / Stirnlampe Für Notfälle oder späte Rückkehr
Notfallpfeife & Signalspiegel Zum Aufmerksam machen im Ernstfall
Mobiltelefon mit Notfallnummern Schnelle Kontaktaufnahme zu Rettungsdiensten möglich
Energieriegel & Wasser Für Kraft und Konzentration unterwegs

Wetterprognose: Den Himmel im Blick behalten

Das Wetter in den Alpen kann innerhalb von Minuten umschlagen. Prüfe daher immer die aktuelle Wetterprognose und beobachte unterwegs die Wolkenbildung sowie Temperaturveränderungen. Bei Anzeichen von Gewitter, starkem Nebel oder Schnee ist es ratsam, umzudrehen oder Schutz zu suchen.

Routenplanung: Sicher ans Ziel kommen

Plane deine Route realistisch nach deinem Können und der Kondition deiner Gruppe. Berücksichtige Höhenmeter, Wegbeschaffenheit und Zeitbedarf. Informiere dich über Ausweichmöglichkeiten oder Unterstände entlang der Strecke.

Notfallkontakte im alpinen Raum:
  • Europäische Notrufnummer: 112 (funktioniert auch ohne Netz)
  • Bergrettung Deutschland: 112 oder lokale Bergwacht-Nummern beachten
  • Bergrettung Österreich: 140 (direkt für alpine Notfälle)
  • Bergrettung Schweiz: 144 (Sanität) / 1414 (Rega)
  • Nächste Hütte oder Talstation kontaktieren bei Problemen unterwegs

Denk daran: Gute Vorbereitung rettet Leben – deins und das deiner Begleiter.

2. Erkennung von Notfällen: Warnsignale und schnelle Einschätzung

Wie erkennt man typische alpine Notfallsituationen?

In den Alpen kann sich ein Notfall schnell entwickeln. Wichtig ist, die Warnzeichen frühzeitig zu erkennen, um richtig reagieren zu können. Hier sind die häufigsten alpinen Notfälle und ihre typischen Anzeichen:

Typische Notfallsituationen und Warnsignale

Notfallart Warnsignale Schnelle Einschätzung
Unterkühlung (Hypothermie) Kältegefühl, Zittern, blasse oder blaue Haut, Verwirrtheit, langsamer Puls Ist die Person ansprechbar? Zittern sie stark oder gar nicht mehr? Wie fühlt sich die Haut an?
Sturzverletzungen Sichtbare Wunden, Fehlstellungen der Gliedmaßen, starke Schmerzen, Bewegungseinschränkung Kann sich die Person bewegen? Gibt es offene Wunden oder starke Blutungen? Ist eine Schockreaktion erkennbar?
Höhenkrankheit (AMS) Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit, Koordinationsstörungen Befindet sich die Person über 2500 Meter Höhe? Verschlimmern sich die Symptome bei Belastung?

Schnelle Lageeinschätzung – Schritt für Schritt

  1. Ruhe bewahren: Atmen Sie tief durch und verschaffen Sie sich einen Überblick.
  2. Sicherheitscheck: Ist der Ort sicher für Helfer und Betroffene? Felsen, Lawinengefahr oder Wetter beachten!
  3. Ansprechen: Sprechen Sie die Person direkt an („Wie geht’s dir?“), prüfen Sie Bewusstsein und Orientierung.
  4. Körperliche Untersuchung: Beobachten Sie Atmung, Hautfarbe und -temperatur sowie auffällige Verletzungen.
  5. Laufende Beobachtung: Bleiben Symptome stabil oder verschlechtern sie sich? Wiederholen Sie regelmäßig Ihre Einschätzung.
Tipp aus der Praxis:

Viele Bergsteiger in Deutschland nutzen das sogenannte „ABCDE-Schema“ zur schnellen Einschätzung:
A wie Atemwege frei?, B wie Atmung normal?, C wie Kreislauf stabil?, D wie neurologischer Status (Bewusstsein)?, E wie Umgebung (Wärme/Kälte/Sicherheit)?
Diese Struktur hilft Ihnen, auch in Stresssituationen keinen wichtigen Punkt zu vergessen.

Erstversorgung vor Ort: Schritt-für-Schritt-Anleitung

3. Erstversorgung vor Ort: Schritt-für-Schritt-Anleitung

Praktische Handgriffe für den alpinen Notfall

In den Alpen kann eine schnelle und richtige Erstversorgung über Leben und Gesundheit entscheiden. Gerade bei eingeschränkten Mitteln und besonderen alpinen Bedingungen – etwa steilem Gelände, Kälte oder Wind – sind einfache, aber effektive Maßnahmen gefragt. Im Folgenden findest du eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zu den wichtigsten Handgriffen.

Stabile Seitenlage richtig anwenden

Die stabile Seitenlage ist essenziell, wenn ein Bewusstloser normal atmet. Sie schützt vor dem Ersticken durch die eigene Zunge oder Erbrochenes. So gehst du vor:

Schritt Handgriff
1 Betroffene Person auf den Rücken legen, Beine strecken.
2 Den nahen Arm angewinkelt nach oben legen.
3 Fernen Arm über Brust legen, Handrücken an die Wange führen.
4 Fernes Bein am Knie greifen und anwinkeln.
5 Angewinkeltes Bein zu dir heranziehen, Person vorsichtig auf die Seite rollen.
6 Kopf leicht nach hinten neigen, Mund öffnen, Atemwege frei halten.

Blutungen stillen – Improvisation ist alles

Im Gebirge hast du meist keine sterilen Verbände dabei. Nutze deshalb Tücher, Kleidungsstücke oder Mützen, um Blutungen zu stoppen:

  • Druck ausüben: Lege ein sauberes (oder möglichst sauberes) Textil direkt auf die Wunde und drücke kräftig darauf.
  • Druckverband improvisieren: Wickel einen Schal, ein Stirnband oder Ähnliches fest um die betroffene Stelle.
  • Achte darauf, dass der Verband nicht komplett abschnürt – Durchblutung prüfen (z.B. Nagelbettprobe).

Wärmeerhalt in alpiner Umgebung

Kälte ist im Gebirge ein ernstzunehmendes Risiko, selbst im Sommer. Wärmeerhalt rettet Leben:

  • Lagere die verletzte Person nach Möglichkeit von Schnee und kaltem Boden weg – z.B. mit Rucksack, Seil oder Isomatte als Unterlage.
  • Bedecke sie mit Jacken, Biwaksack oder Rettungsdecke (silberne Seite zum Körper).
  • Schildere immer wieder, dass Bewegung im Verletzungsfall vermieden werden sollte – Wärmeverluste entstehen sonst durch unnötige Aktivität.
  • Achte auch auf Hände, Füße und Kopf: Diese Körperteile kühlen besonders schnell aus.
Tabelle: Übersicht der wichtigsten Maßnahmen vor Ort
Szenario Sofortmaßnahme
Bewusstlosigkeit (normale Atmung) Stabile Seitenlage + Wärmeerhalt sichern
Starke Blutung Druck ausüben + improvisierten Druckverband anlegen + Ruhe bewahren
Kälteeinwirkung/Unterkühlung droht Lagern vom Boden isolieren + Abdecken + Bewegung vermeiden

4. Richtiges Absetzen eines Notrufs in den Alpen

So funktioniert der Notruf im alpinen Gelände

In den Bergen zählt im Ernstfall jede Minute. Ein klarer und schneller Notruf kann Leben retten. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es spezielle Notrufnummern und Organisationen, die auf alpine Notfälle spezialisiert sind. Hier erfährst du, wie du im Ernstfall mit Mobiltelefon oder Funkgerät richtig Hilfe holst.

Wichtige Notrufnummern im deutschsprachigen Alpenraum

Land Allgemeiner Notruf Bergrettung
Deutschland 112 Bergwacht über 112 erreichbar
Österreich 112 / 144 140 (direkt zur Bergrettung)
Schweiz 112 / 144 1414 (Rega-Helikopterrettung)

Schritt-für-Schritt: So setzt du einen effektiven Notruf ab

  1. Ruhe bewahren: Atme tief durch und konzentriere dich auf das Wesentliche.
  2. Anrufen: Wähle die passende Notrufnummer. Wenn kein Netz, versuche es mehrmals oder wechsle den Standort – oft reicht ein kleiner Höhenunterschied.
  3. Sprechfunk: In manchen Regionen ist auch Funkkontakt möglich, etwa über eine Hütte oder das Alpine Notsignal (6 Töne/Signale pro Minute).
  4. Folgende Informationen sind wichtig:
    • Wer? Name und Rückrufnummer angeben.
    • Was? Kurze Beschreibung des Unfalls (z.B. Sturz, Kreislaufkollaps).
    • Wo? Genaue Standortangabe (z.B. GPS-Daten, markante Punkte, Wegnummer).
    • Wie viele? Anzahl der Verletzten und deren Zustand.
    • Warten auf Rückfragen: Nicht einfach auflegen! Bleibe erreichbar für weitere Anweisungen der Rettungskräfte.
Tipp: So gibst du deinen Standort exakt durch

Neben klassischen Karten helfen heute auch Smartphone-Apps wie „SOS-EU-ALP“ oder „Echo112“, um den genauen Standort zu übermitteln. Wer kein GPS hat, beschreibt den Ort so genau wie möglich: Talname, nächster markanter Punkt, Höhenmeter-Angabe oder Wegmarkierung.

Im deutschsprachigen Alpenraum sind die Bergrettungsdienste bestens vernetzt – dein klarer Notruf sorgt dafür, dass sie schnell und gezielt helfen können.

5. Warten auf Hilfe: Umgang mit Stress, Kälte und Unsicherheit

Psychische und physische Selbsthilfe in der Wartezeit

Nach einem Notfall in den Alpen ist das Warten auf professionelle Hilfe oft eine große Herausforderung. Die Zeit scheint stillzustehen, während die Umgebung kalt und unwirtlich bleibt. Um diese schwierigen Stunden bestmöglich zu überstehen, helfen einfache Maßnahmen – für Körper und Geist.

Behelfsmäßiges Notlager errichten

Um sich vor Kälte und Wind zu schützen, ist ein improvisiertes Notlager wichtig. Nutzen Sie alles, was verfügbar ist: Rucksäcke als Isolierung, Rettungsdecke zum Einwickeln oder als Windschutz, Kleidung in Schichten übereinander anziehen. Suchen Sie natürlichen Schutz wie Felsen oder Bäume.

Ausrüstung Zweck
Rettungsdecke Schutz vor Auskühlung, Signal für Retter
Rucksack/Isomatte Sitzunterlage gegen Bodenkälte
Kleidung (mehrschichtig) Wärme speichern, Feuchtigkeit vermeiden
Tarp/Regenjacke Wind- und Nässeschutz

Zeit strukturieren – Aktiv bleiben im Kopf

Unsicherheit und Angst können zermürbend sein. Versuchen Sie, einen klaren Ablauf zu finden: Kontrollieren Sie regelmäßig Ihren Zustand und den Ihrer Begleiter. Trinken Sie kleine Schlucke Wasser, essen Sie etwas – auch kleine Rituale geben Halt.

  • Kleine Aufgaben verteilen: Wer ist für das Feuer zuständig? Wer hält Ausschau nach Rettung?
  • Pausen setzen: Kurze Ruhephasen wechseln mit kleinen Bewegungen (Hände/Füße bewegen) ab.
  • Mental stärken: Atmen Sie ruhig, sprechen Sie Mut zu, erinnern Sie sich an positive Erlebnisse.
  • Körperkontakt: Bei mehreren Personen eng zusammenrücken – das spart Energie!
Tipp aus der Bergwacht-Praxis:

Bauen Sie Sichtverbindungen zur Rettung auf: Legen Sie auffällige Gegenstände (bunte Kleidung, Stirnlampe) gut sichtbar aus.

Kurz & knapp: Was hilft in der Wartezeit?

Problem Sofortmaßnahme
Kälte Lager bauen, Schichten tragen, Bewegung bleibt möglich halten
Stress/Angst Atemübungen, Gespräche führen, Aufgaben verteilen
Langeweile/Unsicherheit Zeit einteilen, kleine Routinen schaffen, Ausblick auf Hilfe bewahren

6. Nach dem Notfall: Aufarbeitung und Prävention

Reflexion über das Erlebnis

Nach einem Notfall in den Alpen ist es wichtig, nicht nur körperlich zu genesen, sondern auch die Situation mental aufzuarbeiten. Viele Bergsteigerinnen und Bergsteiger erleben nach solch einem Vorfall Unsicherheit oder Angst vor weiteren Touren. Ein ruhiges Gespräch mit den Beteiligten hilft oft, das Erlebte zu verarbeiten. Dabei kann man gemeinsam überlegen, was gut gelaufen ist und was beim nächsten Mal besser gemacht werden könnte.

Typische Fragen zur Reflexion

Frage Beispielantwort
Was hat im Notfall besonders geholfen? Schnelle Reaktion des Teams, gute Ausrüstung
Wo gab es Unsicherheiten? Bei der Orientierung auf dem Steig, Erste-Hilfe-Handgriffe
Wie haben wir als Gruppe funktioniert? Gute Kommunikation, Unterstützung untereinander

Vorbeugung künftiger Notfälle

Die wichtigste Lehre aus jedem Notfall ist: Vorsorge schützt! Wer regelmäßig in die Berge geht, sollte seine Erste-Hilfe-Kenntnisse auffrischen und sich mit den lokalen Gegebenheiten vertraut machen. In Deutschland gibt es zahlreiche Angebote speziell für Bergsportlerinnen und Bergsportler.

Regionale Erste-Hilfe-Kurse & Präventionsangebote

Anbieter Kursangebot Ort/Bundesland Kurzinfo
Bergwacht Bayern Bergrettungs-Erste-Hilfe-Kurs Bayern (u.a. Garmisch-Partenkirchen) Praxiskurse mit Fokus auf alpine Notfälle
Deutscher Alpenverein (DAV) Sicher am Berg – Erste Hilfe kompakt bundesweit (Sektionen) Theorie & Praxis für Bergtouren, inkl. Checklisten
Malteser Hilfsdienst Spezialkurse Outdoor & Wandern verschiedene Städte deutschlandweit Anpassbar für Gruppen und Vereine, auch für Familien geeignet
DRK (Deutsches Rotes Kreuz) Erste Hilfe Outdoor-Training bundesweit verfügbar Spezifische Schulung für Unfälle abseits befestigter Wege
Tipp aus der Praxis:

Kläre vor jeder Tour die Notrufnummern (in Deutschland 112) und informiere dich über aktuelle Wetterbedingungen sowie mögliche Gefahrenstellen auf deiner Route. Packe immer ein kleines Erste-Hilfe-Set ein – es kann Leben retten!